LEBENSZEICHEN

Der zerbrochene Spiegel

 

Der Lärm geschlagener Hölzer

im Schatten des nahen Waldes

erinnert mich an die Farbe Deiner Augen.

 

Immer hattest Du sie vergoldet 

mit Deinem Lächeln.

 

Bis eines Tages ein eisiger Spiegel

über Deinen Lippen zerbrach.

 

Lass mich ein Fell über seinen Scherben ausbreiten

damit ich Ruhe finden kann

endlich.

 

© Ursula Maria Dichtl 2001


Sehnsucht

 

 

Sehr leicht,

fast schwebend

richtet sich eine Form in mir auf.

 

Ohne zu zögern

legt sie

schildkrötenlangsam

den Weg zurück

meine Hülle zu dehnen

bis zur Sehnsucht.

 

Dunkel umschweben mich Zeichen

von möglicher Kraft,

so wie Federn.

 

Und ich biete mich an,

wie die offene Hand

eines uralten Baums

zwischen trüben Gewässern.

 

© Ursula Maria Dichtl 2001


Die Berührung


Die Traurigkeit ihrer Seele hat sich zurückgezogen

an den äussersten Rand ihrer pelzigen Haut.

 

Ein erstaunliches Geschwür, das zu keimen beginnt,

immer wenn sie, im Versuch, berührt werden soll.

 

Dann lacht sie leise, ganz weit innen,

irr geworden

vom langen Warten

auf das erlösende Wort ihres Körpers.

 

© Ursula Maria Dichtl 2001


 

Das Geschenk

 

Dieser Schnee

so viel, so weiß, so weich in deinen Augen

ist ein Geschenk von mir an dich.

 

So wie er,

selbstverständlich in seiner Vergänglichkeit,

sich auf alles legt,

was über das Unsichtbare hinauswächst,

möchte ich dich bedecken.

 

Die Stellen, die du mir zeigst, im Vertrauen,

verwundbar und frierend,

will ich berühren mit zärtlicher Kühle,

watteweiß wie die Hoffnung der Kinder.

 

Und nur der strahlenden Sonne werde ich weichen,

wenn sie erzählen will von einem Anfang,

der so lange auf sich warten ließ.

 

© Ursula Maria Dichtl 2001

 

Hirnfarben

In ihrem Kühlschrank hatte sich - zwischen rohen Eiern - ein feister Gott breit gemacht und flüsterte leuchtend: There's no snow on the moon. Das war ein erfrischender Satz! Sie nahm ihn eilig mit, zwischen die Federn, um ihn ganz heimlich, für sehr schlechte Zeiten, aufzutaun und zu bewahren. Dann malte ein Traum ihr ein trockenes Bild auf die zitternde Haut ihres Herzens. Sie erinnerte sich daran, frierend. Vor ihr die dunkel dampfende Erde ihres einzigen Ackers, tief und sauber durchpflügt.

Und plötzlich wusste sie:

Reflexion war hirnfarben.

Schon immer. 

 

© Ursula Maria Dichtl 2005


Der Bach

Inzwischen knie ich auf dem Boden.

Vor mir ein leeres Blatt

hinter mir der Tag.

Ich höre Autos und sehne mich nach Bach.

Wie wunderbar, dass er so heisst.

 

Ich liebe Bäche.

Die ganz kleinen und die größeren,

die zwischen Wiesen versteckten

und die über Steine stürzenden.

Die Klippen in meinem Gehirn.

Sätze wie Wasser.

Worte, wie Steine, die darin rollen.

 

Und wieder die Sehnsucht nach dem Meer

in dem ich gewiegt werde.

Kein Fallen mehr.

Kein Versickern.

 

Hab fast vergessen, dass ich selbst dort nicht sicher wäre.

Würde verdampfen und zerstreut mich wiederfinden

in einem Bach

einem Fluss

einem See.

Und wieder die Sehnsucht.

Alles von vorn. 

 

 

© Ursula Maria Dichtl 2002


Nackt

 

Noch gestern hatte sie gelacht über sich und ihr Leben. Sie hatte gedacht 'wie einfach doch alles ist'. Hatte ein paar Menschen getroffen, sie nicht geliebt aber gemocht und war froh, als sie sie wieder verlassen konnte. Sie waren da, auch wenn sie ging. Sie hatte nicht geweint als sie alleine zwischen den Kissen lag und der Schlaf sie überfiel. Dann hatte sie alles vergessen, bis zum Morgen, der plötzlich feucht und halb tot zwischen ihren Beinen lag. Sie musste schnell die Decke aufschlagen und sich in einen Menschen verwandeln. Sich daran erinnern, dass ihr Kopf nach oben gehörte und nicht auf den Boden, dass sie auf zwei Beinen zu gehen gewohnt war und nicht zu kriechen. Dass sie sich bekleiden musste, um nicht nackt zu sein...

 

© Ursula Maria Dichtl 2002

 

 


 

Sie setzte sich an den Tisch um zu zeichnen...

 

... und schon bald verstummte der lästige Lärm ihrer Gedanken.

 

Sie stand am Anfang eines Weges

der gleichzeitig in alle Richtungen führte.

Am Horizont erkannte sie, was hinter ihr lag

und fiel dabei tief hinauf in die Wolken.

Rechts und Links waren rotierende Punkte

auf der Kugel ihres Blicks.

 

Sie fürchtete sich nicht länger.

Es gab etwas, das stärker war als sie und wichtiger.

Sie ging ihm nach.

Ein Blick nach dem andern.

 

Manchmal blieb sie sitzend stehen und

schaute suchend aus dem vorbeifahrenden Fenster.

Grünes Fensterbild mit Blau.

Da erkannte sie die Zeit.

Die Zeit des Bildes war durch vier geteilt,

die vier Teile

durch eine unregelmäßige Reihe von Brüchen gegliedert.

 

Sie hatte jahrelang auf das Bild geblickt

und doch waren nur ein paar Sekunden vergangen. 

 

© Ursula Maria Dichtl 2002


Malerei

 

Der Mut immer wieder ein Bild zur Welt zu bringen, von dem ich nicht weiß, ob es Atem genug haben wird um zu leben.

Als wäre ich eine ruhelose Seele, die immer aufs Neue den unschuldigen Leib eines Bildes sucht, um in ihn zu fahren.

Gnadenlos und besessen.
Ich stelle mich meiner hilflosen Blindheit, die mein Auge mit der Leinwand verwandt macht.

Dem Kratzen von farbigem Licht auf der Netzhaut und dem Drang, dem Flüssigen seinen Lauf zu lassen.

Wie ein unendliches Weinen, das mich begleitet.

Wie der Schmerz von tausend vergeblichen Leben.

Ich bin ein sehr altes Kind, das seine dreckige Windel an die Wand schmiert mit Wut auf den Vater und sein fehlendes Echo.

Meine Arme gelähmt und mit blutendem Herz.
Farben sind mögliche Freundschaften und Kriege.

Ich habe es aufgegeben, sie zu verkuppeln und zu verhindern.


Ich bin Mörder und Mutter, Engel und Räuber auf der Suche nach einem Zuhause.
Meine Bilder wie geizige Gastgeber, die mich kurz locken um zu verweilen und mich bei Nacht und Sturm vor die Tür jagen. 

 

© Ursula Maria Dichtl 2006


Ich weiss nicht, wie es kommt...

... aber sie läuft mir ständig davon. Kaum brauche ich sie einmal, ist sie verschwunden. Wenn ich morgens zu lange im Bett liege merke ich, dass sie da ist. Sie liegt neben mir und schläft auch noch ein bisschen. Doch sobald ich die Augen aufschlage, ist sie schon wieder auf der Flucht vor mir. Nackt kann ich sie unmöglich einholen. Auch nicht, ohne gefrühstückt zu haben. Und bis ich soweit bin, ist sie über alle Berge. Sie hinterlässt drei weiße Haare auf meinem Kopf und die Telefonrechnung in meinem Briefkasten. Sie bestimmt, wann es etwas zu feiern gibt und wieviel ich verdiene. Und immer werde ich nach ihr gefragt obwohl ich sie nur flüchtig kenne. Ich zeige dann ihr Bild und gebe Auskunft über sie als ob man sich auf sie verlassen könnte. Doch insgeheim weiß ich: sie wird mich quälen, verraten, mich immer wieder enttäuschen und eines Tages wird sie schuld sein an meinem Tod. Die Zeit.

© Ursula Maria Dichtl 2005


Der Kuss

 

 

Die,

welche

sich küssend

sicher sind,

haben unendlich viel Zeit

zwischen dem ja

und dem immer.

 

 

© Ursula Maria Dichtl 2002


Die Krümel

In dem ausgeliehenen Buch hatte jemand vor einiger Zeit ein paar Weißbrotkrümel hinterlassen, die jetzt eine trocken kitzelnde Spur auf ihrem nackten Bauch beschrieben. Als ihr auffiel, dass sie anhand des Kitzelns nicht unterscheiden konnte, ob die Krümel von einer Frau oder einem Mann stammten, musste sie lachen. 


© Ursula Maria Dichtl 2002


Erschöpfung

Sie war erschöpft. Jemand fehlte. Sie wollte reden mit ihm und zuhören. Sie wollte etwas finden das ihr alleine nicht gelang. Sie wollte morgens aufwachen, sich wie ein Tier fühlen und wissen warum.

 

© Ursula Maria Dichtl 2002


Sicherheit

 

Es hilft nicht, wenn du anfängst zu zählen.

 

Die sechs Seiten des Raums bleiben gespalten

um dich zu beschützen.

Dein Körper sitzt in der Mitte und

verhindert die Hochzeit von dem was du trennst

mit kritischem Blick.

Und dann wieder dieser kindische Dank

für das Dach über dem Kopf

dessen Gewicht dir so etwas wie Sicherheit schenkt.

 

Hast du denn wirklich davor Angst,

dass du nass werden könntest?

 

Oder dass Geigen auf dich herabfallen?

 

 

© Ursula Maria Dichtl 2005

Im Park

 

Am nächsten Tag machte sie sich, auf ihrem buckligen, felllosen Fahrrad, einen samtig tropfenden Pfirsich in ihrer Linken leckend, auf den Weg durch den postkartengrünen Park. Bis zu der Stelle am Wasser, von der sie wusste, sie würde dort alleine sein können, ohne sich zu langweilen oder zu fürchten. Ein paar luftige Meter entfernt grasten Schafe, große und kleine, auch ein paar schwarze. Manchmal wehte ein Brocken Gestanks von trocknender Schafsscheisse an ihrem nackten Körper vorbei. Behaarte Hunde und Männer liefen herum. Es würde Regen geben und war nicht so heiss wie die Tage zuvor unter den Bäumen. Luftige Schildchen von Pusteblumen schwebten schneiend über dem Gras, als wäre es ihnen nicht gleichgültig, in welchem Grün sie versinken würden. Der Himmel stickte flüchtige Muster in den davonstürzenden Bach. Es waren nicht einmal hundert Tropfen gefallen, da verschwanden die schüchternen Wolken schon wieder hinter etwas Unsichtbarem. Die Sonne war keine Sekunde lang nachtragend. Dann versuchte sie am Rande des Bachs einen krummen Kopfstand zu halten, um zu sehn, wie es wäre, wenn die Erde sich nach oben und innen wölbte. Ihr schwindelte von dem Wasser an der moosigen Decke ihres Kopfs. Von Weitem kamen immer wieder Gestalten auf sie zu. Bis es so weit war, dass sie sie nicht erkannte, schwebte vor ihnen ein magisches Tuch, das sie in einen Freund verwandeln konnte. Oder einen Mörder. Während langsam das Licht ausging, fuhr sie ungern zurück in die Stadt.

 

© Ursula Maria Dichtl 2005


Wetterbericht 

Unter meiner Schirmherrschaft haben so viele Tropfen und Strahlen ihr Ziel schon verfehlt, dass sie ein ganzes Meer füllen und seine sämtlichen Tiefen filmreif ausleuchten könnten...
Aber es gab schon auch Zeiten, wo ich sie loslassen konnte. Wo sie übermütig und triefend durch den Sturm rannten und hinterher glücklich kichernd unter dem Regenbogen jedes Eis schmelzen ließen....

 

© Ursula Maria Dichtl 2005


Bin ich ein Stein?

Hineingeworfen in den Strom
der Träume einer schlafenden Gottheit?

 

Gebrochen, zerrieben, geglättet und geschliffen

und schliesslich so hart wie ein Ende?

 

Bin ich beweglich nur dann, 

wenn äussere Kräfte mich treiben?

Und sonst wie ein lebloses Wesen?

 

Ich bilde mir ein, dass ich reisen kann. Manchmal.

Dass ich selber zu Wasser werde und fliesse

und dass sich alles verändert

wenn ich nur lange genug warte.

 

Und dass ich nach Äonen des Hoffens

doch noch lebendig sein werde,

ganz kurz,

in der spielenden Hand eines Kindes

das mich freudig und arglos am Ufer emporhebt

betrachtet und wertschätzt

und mich dann frech in die Fluten zurückwirft.

 

So als wäre ich nichts als ein Stein unter vielen dessen einziger Sinn ist
entdeckt und ergriffen zu werden
und wieder verworfen

nicht golden, nicht glänzend, nicht glitzernd
zu fliegen, zu fallen, zu treiben

und weiter zu schlafen
am ewigen Grund dieser Welt.

 

© Ursula Maria Dichtl 2023

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